Ich habe 1989 angefangen, Politikwissenschaften zu studieren. Damals gab es den Studiengang nur als Promotions-Studiengang. Das hieß, du musstest nur ganz wenige Scheine sammeln und konntest dich dann schon zur Promotion anmelden. 1990 wurde dann auch der Diplomstudiengang eingeführt – der war in Sachen Scheine strukturierter. Ich habe mich dann direkt für diesen Studiengang eingeschrieben und habe 1995 mein Diplom in Politologie absolviert. Meine Nebenfächer waren Rechtswissenschaft, Soziologie und Pädagogik. Während meines Studiums spezialisierte ich mich auf die Rechtsextremismus Forschung, da ich später in die Jugend- und Erwachsenbildung gehen wollte. Da hatte ich aber leider keinen Job gefunden, da es hieß: „Mit 25 Jahren bist du viel zu jung!“ Daher habe ich mich im Anschluss für ein Geschichtswissenschaftsstudium eingeschrieben, um noch zu promovieren – das war leider sehr zäh. Und dann wurde ich 30 Jahre alt und es wurde Zeit für etwas Neues …
Ich habe 1989 angefangen zu studieren, pünktlich zum großen Unistreik. Das heißt: Mein erstes Semester habe ich damit verbracht, Stühle in die Aufzüge im Turm zu stopfen, im TuCa Kaffee zu trinken – also einfach den AfE-Turm zu besetzen inklusive Demonstrationen und so weiter. Das alles brachte zwar keine verbesserten Studienbedingungen, aber sehr viel Spaß. Danach hatte ich mich ja für den Diplomstudiengang eingeschrieben und relativ schnell und gradlinig studiert. Nach 12 Semestern, also nach der Regelstudienzeit, hatte ich mein Studium abgeschlossen. Schwer fand ich das nicht. Die Themen haben mich, bis auf Statistik, sehr interessiert, und Lernen fiel mir nicht schwer. Das ist wie heute: Wenn mich etwas interessiert, fliegt mir das Wissen sozusagen zu. Ich kann mir es gut merken, verstehe, was gemeint ist, und kann dieses Wissen für meine Arbeit verwenden.
Nein bzw. dachte ich ja anfangs, dass ich Expertin für die neue Rechtsextremismus-Forschung in der Jugend- und Erwachsenenbildung werde. Als ich das Diplom hatte und merkte, dass ich in diesem Bereich keinen Job finde, musste ich überlegen, welche anderen Qualifikationen ich besaß. Bereits während meines Studiums arbeitete ich vermehrt in Werbeagenturen – denn meine Eltern haben mir zwar die Miete bezahlt, aber für den Rest musste ich selbstständig aufkommen.
Anfangs war ich mal eine freundliche Telefonstimme eines Immobilienmaklers: ich saß zumeist acht Stunden lang in einem leeren Büro und bin ans Telefon gegangen, wenn jemand angerufen hat. Das Tolle war, da ich ja ansonsten nichts zu tun hatte, konnte ich dort meine Diplomarbeit schreiben. Es gab einen Rechner, einen Drucker, ich hatte Zeit und niemand hat mich gestört. Ab und Text. Websites. Social Media. Interview mit Christa Goede. Die Fragen stellt Jessica Kuch 69 zu am Tag klingelte das Telefon, da ging ich ran. Ansonsten konnte ich mich auf meine Abschlussarbeit konzentrieren, und der Job war echt gut bezahlt – sehr praktisch! Nach meinem Diplom kam es zu ständigen Stellenkürzungen in meinem Wunschberuf und mir wurde bewusst, dass ich in der Jugend- und Erwachsenbildung kein Fuß fassen werde. Mein Promotionsstudiengang Geschichte machte ich daher eher halbherzig. Dann habe ich mir überlegt: Ich kann schreiben und das macht mir Spaß! Journalismus kam für mich nicht infrage, aber Werbung fand ich schon immer hochspannend. Relativ schnell hat sich herausgestellt, dass ich gut komplexe Zusammenhänge erklären kann – und das ist eigentlich bis heute meine Spezialisierung. Heute schreibe ich öfter mal über naturwissenschaftliche und technische Bereiche. Davon habe ich eigentlich keine Ahnung, aber wenn mir jemand alles erklären kann und ich es verstehe, kann ich es auch auf einfache Art und Weise anderen Leuten erklären. Früher an der Uni wurde immer alles sehr hochtrabend geschrieben, drei eingeschobene Nebensätze und möglichst viele Fremdwörter – viele verstanden dann gar nicht mehr, um was es geht. Heute weiß ich, dass die eigentliche Kunst darin besteht, Inhalte während des Schreibens so runter zu brechen, dass die Texte auch Leute verstehen, die nichts mit der Materie zu tun haben. Das ist das, was ich heute mache.
Meinen ersten Job als Texterin hatte ich während meines Studiums in einer kleinen Agentur in Darmstadt. Da habe ich zum Beispiel Broschürentexte geschrieben und Projektmanagement gemacht. Zu meinem 30sten Geburtstag habe ich mich dann dazu entschlossen, nicht mehr zur Uni zu wollen – ich wollte in die Werbung! Ich habe mich aber nicht beworben, sondern im Freundeskreis verkündet, dass ich meine Promotion geschmissen habe und Texterin werden möchte:„Wenn ihr etwas hört, gebt mir Bescheid!“ Kurze Zeit später kam eine Freundin zu mir – sie studierte noch und arbeitete nachmittags in einer Werbeagentur. Sie sagte mir, dass bei ihr in der Agentur noch eine Juniortexterin gesucht wird. Also rief ich dort an, machte einen Copytest, und am nächsten Tag hatte ich den Job als Juniortexterin. Ich schmiss meine Promotion hin und bin von da ab jeden Tag in die Agentur gegangen.
Ich bin seit mehr als 20 Jahren im Internet unterwegs. Meine erste E-Mail-Adresse und meinen ersten Internetzugang habe ich der Universität Frankfurt zu verdanken. Früher, als es noch die Analog-Modems gab, wurde das Internet minutenweise zu Telefontarifen abgerechnet, was dafür sorgte, dass ich einmal eine Telefonrechnung von über 800 DM produziert habe. Denn im Internet war einfach alles so spannend, dass ich dabei die Zeit vergessen habe. Meine Rettung: Die Universität Frankfurt bot ihren Studierenden damals eine Flatrate an, mit der man im Internet surfen konnte. Das war der Hammer. Mir war klar, ich war “zu Hause“! Ich kann mit der ganzen Welt reden, ich finde alle Informationen, ich kann mit Leuten zusammen sein und muss dabei nicht in einem Raum sitzen, wir können gemeinsam Dinge anstoßen und Ideen ausbrüten. Ich war einfach überwältigt. Für mich war das Thema „Social Media“ insofern nichts ganz neues, weil ich damals schon den IRC-Chat verwendete. Dann kam ICQ, die ersten großen, einfacher zu bedienenden Chats und die vielen Foren zu verschiedenen Themen, in denen man alle möglichen Leute treffen konnte. Das war alles hochspannend und mir war klar: Das gefällt mir. Computer und das Internet fand ich und finde ich bis heute sehr spannend wegen der vielen Möglichkeiten. Heute arbeite ich schon viele Jahre in Teams und mit Kunden zusammen, die ich nicht persönlich kenne. Wir duzen uns, wir wissen viel übereinander, aber es findet alles digital statt. Wir nutzen halt statt Telefon und Konferenzräumen den Messenger, Skype, Hangouts, Trello, Evernote, Slack – also alles Tools für die digitale Zusammenarbeit. Und wir kennen uns wirklich gut, auch wenn wir uns noch nie Face to Face gesehen haben! Für mich gibt es keine Trennung zwischen Realität und Internet, seit mehr als fünfzehn Jahren ist das für mich eins.
Viele, viele Jahre habe ich als Texterin in verschiedenen Agenturen für große namenhafte Unternehmen gearbeitet. Aber irgendwann war mir klar, dass ich nicht mehr mit globalen Playern zusammenarbeiten möchte, weil die Arbeit nicht meinen Ansprüchen entsprach. Der Grund für meine Selbstständigkeit war eigentlich der 11. September 2001. Ich habe damals für eine kleine Agentur gearbeitet, die praktisch nur einen Großkunden hatte. Nach dem Anschlag 2001 kürzte das Unternehmen radikal seinen Werbeetat und damit fiel in der Agentur mein Job weg. Dann habe ich eine Zeit lang Präsentationen für Analysten erstellt – der Job war gut bezahlt, aber entsprach nicht meinen Vorstellungen von erfüllendem Arbeiten. Ich legte so viel Geld wie möglich zur Seite, denn mir war klar, dass ich mich selbstständig mache. Dann habe ich einen Businessplan erstellt, Überbrückungsgeld bekommen – und das ist im April 2018 15 Jahre her!
Ich habe es keinen einzigen Tag bereut. Klar, ist es nicht immer einfach, die Aufträge kommen ja nicht von alleine. Man muss schon 71 einiges dafür tun und seine persönliche Art der Akquise finden. Ich bin nicht die, die Kaltakquise macht, ich blogge. Ich sorge dafür, dass ich im Web relativ gut sichtbar bin für meine Themen, wie Texten fürs Web, neue Webseite usw. Mittlerweile bin ich mehr als Texterin, ich bin Beraterin, ich bin Konzepterin. Das heißt: Zu mir kommen kleine und mittelständische Unternehmen oder auch Einzelselbstständige, die eine neue Webseite brauchen. Ich bin sozusagen die Marketingabteilung: Hinter mir steht ein großes Team, ich sorge dafür, dass alle Ideen umgesetzt werden. Ich kenne Fotografen, Leute, die Filme oder Designs machen oder Websites coden. Für meine Kunden hat das den Vorteil, dass sie nur mich als Ansprechpartnerin haben – ich kümmere mich als Projektmanagerin um alles. Ich arbeite also eigentlich wie eine Agentur, bin aber im Preis-Leistungs-Verhältnis günstiger. Wenn wir zum Beispiel einen Webseiten- Auftrag bekommen, schreibe ich das Konzept und den Text, die Designerin macht das Layout, die Fotografin schießt die Bilder und die Coderin setzt das alles technisch um. Wir haben einen großen Pool von Leuten, jedes Teammitglied hat eine andere Spezialisierung. So sitzen Experten und Spezialistinnen vieler Fachgebiete zusammen, bilden ein Team und entwickeln gemeinsam das Projekt. Sobald das Projekt fertig ist, löst sich dieses Team wieder auf. Je nach Auftrag formiert es sich auch wieder neu – oder es entsteht ein anderer Personenkreis für einen anderen Job. Wir haben alle eine gewisse Anspruchshaltung an uns und an unseren Job: Wir möchten für unseren Kunden gemeinsam die bestmöglichste Lösung erarbeiten. Dabei ist es wichtig, dass der Kunde aktiv mitarbeitet. Wir müssen in Kontakt stehen, uns austauschen, und er muss uns sein Produkt und sein Unternehmen erklären. Nur so wird das Ergebnis zum Beispiel bei einer Website richtig gut. Meine Aufgabe ist es, das Wissen der Kunden so zu erarbeiten und zu formulieren, dass daraus sowohl ein zielgruppengenaues Konzept als auch passende Texte entstehen, die ansprechen und verständlich sind.
Als Freiberuflerin muss man schon etwas schizophren sein. Ich habe dazu mal einen Blogbeitrag geschrieben: „Dompteurin, Buchhalterin, Perle, Klugscheißerin – die vielen Rollen der Freiberuflerin Christa G.“ Denn ich bin nicht nur Texterin, ich bin kreativ, also die kleine Chaotin, die Gedanken- Pingpong spielt. Ich bin auch noch die Buchhalterin, die muss streng sein und die Termine im Blick halten. Ich bin meine eigene Chefin, ich muss mich selbst motivieren. Ich bin auch meine eigene Putzfrau, mein Büro macht leider niemand außer mir sauber ;-) Wenn mich einer fragt „Was arbeitest Du?“, antworte ich: „Ich arbeite nicht, ich habe den ganzen Tag Spaß.“ Wobei es ja schon ganz selten auch mal Sachen gibt, die keinen Spaß machen – zum Beispiel die doofe Steuer. Da hab ich aber Glück, denn ich bin nicht nur kreativ, sondern auch gut strukturiert und organisiert. Das kommt mir in meinem Job zugute. 72 Im Gespräch Ich musste mich damals von Anfang an mit buchhalterischen Dingen auseinandersetzen. Um das Überbrückungsgeld zu beantragen und anerkannt zu werden, musste ich ja einen Businessplan erstellen. Doch ich bin Netzwerkerin: Von Anfang an war ich zum Beispiel Mitglied im Texttreff – das ist ein großes Netzwerk von schreibenden Frauen, mit denen man sich prima austauschen kann und Fragen beantwortet bekommt. Ganz egal, ob kreative, buchhalterische oder Lebensfragen. So ein Netzwerk sollte sich meiner Meinung nach jeder aufbauen, der sich selbstständig machen möchte!
Ja, total. Was ich in meinem Politologie-Studium gelernt habe, war, die Metaebene zu erkennen. Das, was ich in der Schule nicht kapiert habe, habe ich im Studium gelernt – die Zusammenhänge zu begreifen. Das ist bis heute sehr wichtig für meinen Job. Manchmal kommen Leute zu mir und wollen eine Webseite für einen Steuerberater, da muss ich genau nachfragen: Wie lautet euer Angebot genau? Wer gehört zu eurer Zielgruppe? Was ist der fachliche und was der emotionale Nutzen eures Angebots? Welchen USP habt ihr? Ich muss gezielt Fragen stellen und auch nachhaken, um hintergründige Antworten zu erhalten, die ich für meine Konzepte und Texte brauche. Mein Studium hilft mir da unglaublich, alleine das Nachforschen, das Recherchieren. So weiß ich heute genau, wie ich Informationen zu jedem beliebigen Thema finde und wie ich mich immer tiefer damit beschäftigen und einarbeiten kann.
Früher bin ich meistens erst mittags an den Schreibtisch gegangen, heute sitze ich bereits ab sieben Uhr da. Denn ich habe festgestellt, dass ich morgens viel kreativer bin und mich abends oft zu ausgelaugt fühle, um noch produktiv zu arbeiten. Da mein Büro in meiner Wohnung ist, kann ich jeden Morgen direkt nach dem Aufstehen in mein „Fitnessstudio“ gehen – eine halbe Stunde auf mein Cardiobike, duschen, dann Schreibtisch. Parallel bin ich eigentlich fast immer online, denn ich muss ja meine Social-Media-Kanäle im Blick haben und die meiner Kunden natürlich auch. Einsam ist mein Job überhaupt nicht, denn ich kommuniziere über alle Plattformen hinweg – und das den ganzen Tag. Alle Gespräche finden virtuell statt, aber für mich ist das wie ein reales Gespräch. Vormittags arbeite ich einige Stunden, gehe dann raus und esse Mittag oder was auch immer ich machen möchte. Nachmittags arbeite ich dann weiter. Manchmal muss ich aber auch abends oder nachts arbeiten, am Wochenende oder an Feiertagen – aber dazwischen habe ich auch wieder Zeitfenster für mein Business und mich. Denn ich muss ja nicht nur für den Kunden arbeiten, sondern auch Selbstvermarktung machen. Ich blogge, netzwerke, beantworte Fragen, tausche mich aus – das kostet alles Zeit. Summa summarum arbeite ich in der Woche mehr als 40 Stunden, aber ich merke es nicht, denn es macht mir Spaß.
Ja, aber das wusste ich damals ja gar nicht! Ich habe ihn also eigentlich durch Zufall gefunden. Aus ganz vielen blöden Situationen habe ich immer etwas gemacht, was mich weiter gebracht hat – aber auch das habe ich erst später verstanden. Als ich damals meinen ersten Vollzeit-Job in der Werbeagentur verlor, war das ganz schrecklich, fast schon eine Lebenskrise. Trotzdem bin ich nach diesem Fiasko wieder eine Stufe weiter gegangen und habe ganz tolle Sachen entwickelt. Früher war ich die „Textschneiderei“ und habe von „wir“ gesprochen. Heute bin ich Christa Goede und jeder weiß, dass ich eine Freiberuflerin bin – eine, die authentisch kommuniziert und auch ihre Kunden authentisch präsentiert. Übrigens: Zu diesem Thema halte ich mittlerweile Vorträge an Universitäten oder in großen Firmen. Das hätte ich damals nie für möglich gehalten.
Das ist schwer zu beantworten: Einen Berufstraum – die meisten Leute haben das ja, aber wir dürfen nicht so in Berufen denken, meine ich. In erster Linie sollte es um die eigenen Fähigkeiten gehen. Rausfiltern, was man wirklich kann und will. Das ist nicht immer einfach. Als mir klar wurde, dass das mit dem Bildungssektor nicht klappen wird, musste ich schauen, was noch infrage kommt. Meine weiteren Kompetenzen neben der Vermittlung von Wissen sind, kreativ zu sein und zu schreiben. Also suchte ich einen Job in einer Agentur, denn da durfte ich Wissen vermitteln, kreativ sein und texten. Es gibt also immer mehrere Möglichkeiten, seine Fähigkeiten einzusetzen. Wichtig war und ist für mich, dass dieser Einsatz auch Spaß macht! Und so könnte ich auch heute schauen, in welchen Berufsgruppen meine Fähigkeiten gefragt sind. Und dann einfach mal ausprobieren – auch wenn man dann merkt, dass das nicht der richtige Beruf ist. Heute ist es auch nicht mehr schlimm, einen „krummen Lebenslauf“ zu haben: Also einfach mal was wagen und mutig sein! Und am besten auch andere Personen fragen, was sie denken, welche Stärken man hat. Denn oft unterschätzt man sich selbst oder stuft sich ganz falsch ein.
Karriereplaner - Ausgabe: SS 2018