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Beruf und Berufung

– Erfahrungsbericht: Richterin am Landgericht

Schon als Kind hatte ich einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn – Jura zu studieren kam mir trotzdem lange Zeit nicht in den Sinn. Ich hielt das Fach für zu trocken und wenig lebensnah. So entschied ich mich zunächst für ein klassisches Magisterstudium mit Hauptfach Neuere und Neuste Geschichte. Im Rahmen meines Nebenfachs Öffentliches Recht merkte ich allerdings schnell, dass ich mich was die Rechtswissenschaften angeht getäuscht hatte und Jura mich schnell faszinierte. Zudem hatte mich schon immer interessiert, wie eine Gesellschaft funktionieren kann und welche Rolle der Rechtsstaat und Gesetze im gesellschaftlichen Zusammenhalt spielen. An der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg bestand zum Glück die Möglichkeit, einen Magister- und Staatsexamensstudiengang im Doppelstudium zu studieren, so dass ich mich ab dem 2. Semester für die gesamte Bandbreite der juristischen Vorlesungen einschreiben konnte.

Nachdem ich in Praktika und als wissenschaftliche Mitarbeiterin während meiner Studienzeit und Dissertation bereits in Großkanzleien, im Bundestag und Europäischen Parlament tätig war, konnte ich im Referendariat in Frankfurt am Main erstmals die Arbeitsweise der Justiz kennenlernen. Ich bin dort auf starke, unabhängige und selbstbewusste Persönlichkeiten gestoßen, die sich mit hohem Engagement und persönlichem Einsatz bemühten, das Beste aus unserem Rechtsstaat zu machen – das hat mich begeistert. Gleich in meiner ersten Station begegnete ich einem Einzelausbilder, Vorsitzender einer Kammer für Handelssachen, der mit beeindruckendem Engagement und seinem schier unerschöpflichen Erfahrungsschatz auch die komplexesten Fälle zu von den Parteien nachvollziehbaren Lösungen zuzuführen vermochte und sich nebenbei stark für die Ausbildung junger Juristen und Juristinnen engagierte.

Trotzdem entschied ich mich nach dem Referendariat nicht unmittelbar für einen Einstieg in die Justiz, sondern begann aufgrund meiner Sprachenaffinität zunächst meine berufliche Laufbahn bei einer amerikanischen Großkanzlei. In knapp zwei Jahren anwaltlicher Tätigkeit in einem tollen Team, die viele spannende und internationale Mandate mit sich brachte, vertiefte ich hier nicht nur juristische Kenntnisse, sondern sammelte vor allem einiges an Lebenserfahrung, die mir in meiner richterlichen Tätigkeit immer wieder hilft. Sowohl die erhebliche Arbeitsbelastung als auch der Wunsch nach mehr Eigenverantwortung, einer sinnstiftenden Tätigkeit sowie letztlich auch die Perspektive einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben mich dazu bewogen, mich für die Justiz zu entscheiden.

Als ich 2014 Teil der hessischen Justiz wurde, bekam ich zunächst ein Dezernat an einem kleinen Amtsgericht zugewiesen und bearbeitete dort Zivil- und Ordnungswidrigkeitenverfahren. Den Einstieg erleichtert haben mir meine überaus engagierten jüngeren und auch erfahrenen Kolleginnen und Kollegen, die mir mit praktischen Tipps stets zur Seite gestanden haben. Mittlerweile gibt es sogar ein spezielles Mentorensystem, durch das Richterinnen und Richter in Hessen während der ersten drei bis sechs Monate unterstützt werden. Außerdem gibt es viele Fortbildungsangebote, auch speziell für Proberichter, sowohl der einzelnen Gerichte als auch der Hessischen Justizakademie, der Deutschen Richterakademie und des European Judicial Training Network.

Als Richterin war ich vom ersten Tag an selbstständig, eigenverantwortlich und vor allem unabhängig tätig, und zwar in direktem Außenkontakt mit den unterschiedlichsten Beteiligten. Auch hier hat mir mein Netzwerk aus erfahrenen Kolleginnen und Kollegen stets zur Seite gestanden. Zudem hat man die Chance, auf vielen ganz unterschiedlichen Aufgabenfeldern tätig zu sein, und zwar ohne Wechsel des Arbeitgebers und oftmals ohne Ortswechsel. Während meiner Probezeit lernte ich auch die Arbeit am Landgericht in einer Arzthaftungskammer kennen, bevor ich nach Elternzeiten und einer weiteren Station am Amtsgericht nach der Lebenszeiternennung am Landgericht in einer Beschwerdekammer tätig war. Hier beschäftigte ich mich unter anderem mit Beschwerden gegen amtsgerichtliche Entscheidungen im Bereich des Insolvenzrechts, Zwangsvollstreckungsrechts und Betreuungs- und Unterbringungsrechts, so dass auch Anhörungen in Psychiatrien zu meinem Tätigkeitsbereich gehörten.

Gerade diese letzte Station, aber auch meine vorherigen Einsatzgebiete haben mir immer wieder gezeigt, wie groß die gesellschaftliche Bedeutung der richterlichen Tätigkeit ist. Meine Entscheidungen haben unmittelbare Auswirkungen auf die hinter den Akten stehenden Menschen. Nicht selten haben sie maßgeblichen Einfluss auch auf deren Lebensumstände. Dies alles erfordert Verantwortungsbewusstsein, eine gute Menschenkenntnis und ein gewisses Maß an Lebenserfahrung.

Der Richterberuf ist für mich nach wie vor mein Traumberuf. Die richterliche Unabhängigkeit ermöglicht es mir, die Arbeitszeiten im Rahmen der notwendigen Gerichtsorganisation weitgehend frei gestalten zu können. Auch die Einführung der elektronischen Akte hat hierzu einen großen Teil beigetragen. Zudem ist es in Teilzeit für mich möglich, die gleichen Aufgaben wahrzunehmen wie Kolleginnen und Kollegen in Vollzeit, eben nur zu einem reduzierten Dezernatsanteil. Gerade die Kolleginnen und Kollegen sind es für mich, die einen wesentlichen Teil zu meiner beruflichen Zufriedenheit beitragen. Zu Unrecht hat die Justiz aus meiner Sicht einen manchmal angestaubten Ruf. In allen Bereichen bin ich auf engagierte, hochqualifizierte, empathische, hochmotivierte und spannende Persönlichkeiten getroffen, die mich die Zusammenarbeit an den Gerichten und den Austausch miteinander täglich schätzen ließen. Ich kann daher nur jeden ermuntern, der eine abwechslungsreiche, vielseitige und erfüllende juristische Tätigkeit sucht und gleichzeitig eine sinnstiftende Aufgabe für die Gemeinschaft übernehmen will, über eine Tätigkeit in der Justiz nachzudenken.

Zur Autorin:
Dr. Sarah-Lena Hörauf, M.A. ist Richterin am Landgericht Hanau und derzeit abgeordnet an das Hessische Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat. Dort befasst sie sich mit der Nachwuchsgewinnung für den richterlichen und staatsanwaltlichen Dienst.

Karriereplaner - Ausgabe: WS 2024/2025