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Work-Life-Balance in großen Anwaltskanzleien

Der Begriff „Work-Life-Balance“ beschreibt das Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben und das Bestreben, ein befriedigendes Gleichgewicht zwischen beiden zu finden. Aber wie kann dies in großen Anwaltskanzleien erreicht werden, wo die Arbeitsbelastung typischerweise hoch ist und den Anwältinnen und Anwälten im Vergleich zu vielen anderen Berufen wenig freie Zeit bleibt?

Nach meiner Erfahrung spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Der Allerwichtigste ist der Wohlfühl- und Spaßfaktor. Die Arbeit muss Freude machen, sie muss einen fordern, Entwicklungsmöglichkeiten bieten, und das Team und die Kollegen müssen passen. Darauf sollte insbesondere bei der Berufswahl und bei der Wahl des Arbeitgebers geachtet werden. Der Begriff Work-Life-Balance an sich ist nämlich irreführend, denn er impliziert, dass Arbeit („Work“) etwas anderes sei und abseits passiere vom Leben („Life“). Dabei ist natürlich der Beruf und die berufliche Arbeit auch Teil des Lebens und sollte auch so wahrgenommen werden. Aber auch das Privatleben darf nicht zu kurz kommen. Dazu gehört, dass Urlaub genommen wird, die Wochenenden überwiegend frei sind, der Blackberry mal ausgeschaltet wird und Kindergeburtstage Vorrang haben. Apropos Kindergeburtstage, die Arbeit als Anwalt oder Anwältin in einer Großkanzlei lässt sich auch mit Kindern vereinbaren. Meine Tochter ist 16 Monate alt, und ich habe meine Tätigkeit als Anwältin nach der Elternzeit auf etwa die Hälfte reduziert. Natürlich ist es mit unter anstrengend, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen, und es erfordert eine sehr gute Organisation – aber es geht.

Durch die modernen Kommunikationsmittel (Blackberry, Handy, Notebook) bin ich für Mandanten und Kollegen auch außerhalb meiner regulären Bürozeiten erreichbar und kann (abends) von zuhause aus arbeiten. Mein Team unterstützt meine Teilzeittätigkeit voll und ganz und hält mich auf dem Laufenden, wenn ich nicht im Büro bin. Das Hinbringen und Abholen unserer Tochter zur bzw. von der Tagesmutter haben mein Mann und ich uns aufgeteilt. Wir haben mit ihr zudem flexible Betreuungszeiten vereinbart, so dass auch ich ganztätige Termine wahrnehmen und Spitzenbelastungen ausgleichen kann. In Notfällen helfen die Großeltern aus. Mein Tagesprogramm ist so sehr abwechslungsreich: Morgens bereite ich etwa Fusionskontrollanmeldungen vor, berate Mandanten in komplexen Kartellbußgeldverfahren oder prüfe Vertriebsverträge, während ich die Nachmittage auf Spielplätzen verbringe oder mit meiner Tochter in die Musikschule oder zum Turnen gehe.

Es gibt sicher Berufe, die einfacher mit einer Familie zu vereinbaren sind, in denen die Arbeit planbarer ist und die Arbeitszeiten kürzer sind. Darüber habe ich insbesondere bei der Berufswahl nachgedacht. Heute kann ich sagen, dass Anwältin ein Beruf ist, der mir viel Freude bereitet, der ein internationales Umfeld bietet, der mich fordert und in dem ich mich weiterentwickeln kann. Ich bin froh, damals meinen Vorlieben gefolgt zu sein. Und es hat sich gezeigt, dass die Tätigkeit als Anwältin in einer großen Kanzlei auch mit einer Familie vereinbar ist.

Steckbrief von Birgit Colbus
Karriere: Studium in Tübingen, Fribourg (Schweiz) und Bonn, Promotion 2004, Rechtsanwältin im Büro Frankfurt, Secondment bei Kanzlei in Boston 2007, Mitglied der Studienvereinigung, Kartellrecht

Karriereplaner - Ausgabe: WS 2010/11